Angst

Jeder Mensch hat Ängst. Es handelt sich dabei um gelernte Reaktionen auf bestimmte Situationen. Wer keine Angst empfinden kann, ist krankhaft gefühlsgestört

Man kann Ängste allgemein in drei Gruppen unterteilen:
a) die Realangst: Sie tritt in Gefahrensituationen auf;
b) die Existenz- oder Lebensangst: Damit ist die Angst vor der Zunkunft gemeint;
c) die neurotische Angst: Solche Angstreaktionen sind krankhaft übersteigert.

In Partnerschaften spielen Ängste eine wichtige Rolle. Es handelt sich meistens um neurotische Ängste. Die Motivation, eine Beziehung einzugehen, besteht größtenteils aus der Hoffnung, bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen. Die Sehnsucht nach Zuneigung, Anerkennung, Fürsorge, Achtung, Anlehnung, sexuelle Befriedigung und das Streben nach Selbstverwirklichung sind ein starkes Motiv für eine Beziehungsaufnahme. Aber auch Angstgefühle können bei dem Wunsch, eine Partnerschaft einzugehen, eine wichtige Rolle spielen.

Die bloße Gegenwarte eines anderen Menschen wirkt schon angstreduzierend. Der Antrieb, der bei uns allen hinter dem Willen zu einer Beziehung steht, ist teilweise der Wunsch, die Last der Eigenangst zu mindern.

Die Angst vor Vereinsamung, Isolation und die Vorstellung, in späteren Jahren allein leben zu müssen, liegt in jedem Menschen. Das Ausmaß solcher Befürchtungen variiert von Person zu Person. In einer Partnerschaft werden diese Ängste für beide Teile reduziert. Die Existenzangst als einziges Bindeglied einer Beziehung ist aber keine stabile Ausgangsbasis für eine Partnerschaft.

Bei manchen Zweierbeziehungen kann man eine Art von "Arbeitsteilung" beobachten, die so aussieht, daß der eine Teil die Dinge übernimmt, die bei seinem Partner angstbesetzt sind und umgekehrt. Man ergänzt sich auf diese Weise und hilft einander dort, wo der andere Schwierigkeiten oder Probleme hat.

Genauso wie die Angst vor Einsamkeit eine wichtige Rolle in einer Paarbeziehung spielen kann, kommt es auch vor, daß die Angst vor einer zu engen Beziehung die Gemeinsamkeit belasten kann. Die Bindungsangst beruht auf massiven Minderwertigkeitsgefühlen. Man ist zwar mit einem Partner befreundet und lebt mit ihm möglicherweise schon lange zusammen, hat aber eine starke neurotische Angst, sich endgültig zu binden.

Zweierbeziehungen, bei denen der eine Teil sehr gerne heiraten möchte, der andere "eigentlich" auch, aber einfach nicht kann, weil schon der bloße Gedanke an Heirat bei ihm Panik- und Fluchttendenzen auslöst, sind für Paartherapeuten an der Tagesordnung.

Die Angst vor einer endgültigen Bindung ist schon meistens in der frühen Kindheit erlernt worden. Oft ist es das Modell der Eltern, das zur Entstehung einer unangemessenen neurotischen Bindungsangst beigetragen hat.

Hat ein Klient den Wunsch, seine Bindungsangst zu überwinden, dann kann er unter Anleitung eines Spezialisten (Paartherapeut) trainieren, die Angst schrittweise zu reduzieren und zu überwinden.

Das Vorgehen bei einer sukzessiven Angstminderung ist für alle Arten von Ängsten ähnlich. Man geht davon aus, daß Ängste erlernt wurden und sie somit auch wieder verlernbar sind. In kleinen Lernschritten werden zunächst leichte Ängste bewältigt, später stärkere. Die Technik ist die systematische Desensibilisierung, sie beruht auf Erkenntnissen der Lernpsychologie.

Ziel jeder systematischen Angstreduktion ist, das Selbstwertgefühl zu steigern und die Voraussetzungen für eine angstfreie Selbstverwirklichung zu schaffen.

Neben den Bindungsängsten gibt es auch Sexualängste. Am bekanntesten ist die Angst zu versagen, die zur Impotenz führen kann. Allein der Gedanke an ein mögliches Versagen bewirkt schon eine weitgehende Impotenz. Die Enttäuschung über einen Mißerfolg verstärkt die Befürchtung, auch das nächste Mal impotent zu sein. Versagensangst und der zwanghafte Wille, erfolgreich zu sein, schaukeln sich gegenseitig auf und stabilisieren die sexuelle Störung.

Alle Ängste in Partnerschaften drücken sich auch in einer gestörten Kommunikation aus. Deshalb ist das Erlernen neuer Kommunikationstechniken eine sehr sinnvolle Methode, Ängsten in Zweierbeziehungen zu begegnen (s. Kommunikation)

 

THERAPIE GEGEN EHEANGST

Zunächst wird eine Angsthierarchie erstellt mit Werten von 0 bis 100. Im Falle einer Bindungs- oder Heiratsangst wird also "die eigene Hochzeit" den Angstwert 100 bekommen.
Eine Hierarchie der Bindungsangst könnte folgendermaßen aussehen (nach Mandel und Mandel):

Angstwert Hierarchie
10-20 mit dem Freund eine Kücheneinrichtung im Kaufhaus flüchtig ansehen, dann hingehen und genau ansehen;
30 ein Wohnzimmer in Gedanken einrichten; Vorhänge aussuchen;
40-50 mit dem Freund irgendeine Schlafzimmereinrichtung im Kaufhaus anschauen; flüchtiger und genauer;
50-60 gemeinsam eine Schlafzimmereinrichtung ansehen, die beiden sehr gefällt:
70 Hochzeitsvorbereitungen allgemeiner Art;
80-90 einen Ehering im Schaufenster ansehen und kaufen;
100 die eigene Hochzeit.


(von Manfred Saniter)

 

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